Hawoli greift in seinem Werk über die Jahre in langen Bögen immer wieder gleiche Themen auf, macht immer wieder identische Materialien zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Die Fotografie ist dabei, neben der Arbeit mit Stein und Metall, wichtiges Medium. In den fotografischen Arbeiten, sämtlich analog, hat er seit den Siebziger Jahren seine listigen Strategien des Kommentars und des Verwirrens des Betrachters entwickelt. Unvergessen seine Darstellungen von skulpturalen Ereignissen in der Natur, die gleichsam gegen jede natürliche Möglichkeit den Betrachter verwirrten und Unmögliches zur Form werden ließen; geknotete Bäume etwa, oder skulpturale Ereignisse, die sich gegen jede statische Gesetzmäßigkeit entwickelten.

Ein weiteres Thema des Künstlers über die Jahre ist die Zeit. Dass Kunstwerke eine konkrete Eigenzeit besitzen, eine, die in Ihnen ruht und die von ihrem Entstehen und ihrem Gewordensein erzählt, ist dabei nur das Eine. Alle Werke von Hawoli schließen diesen Aspekt von Zeit ebenso ein wie die Werke anderer Künstler; aber in Hawolis bildhauerischer Arbeit gibt es immer wieder auch jenes Verweisen auf eine historische Zeit hin, die der Künstler in seinem Werkstoffen entdeckt. In den Steinen, mit denen er seit Jahrzehnten arbeitet, zeigt er immer wieder Spuren einer anderen Zeit. So auch in dem Jura-Marmor, der in den neuesten Arbeiten, den Zeitspuren, Verwendung gefunden hat. Hier sind eingeschlossene Meerestier- und Pflanzenreste zu finden, die vor Jahrhundertmillionen in den sich ausbildenden Steinformationen unter großem Druck eingeschlossen wurden.

Hawoli als ein Künstler, der in großen Zusammenhängen denkt und lebt, der die Arbeitsteiligkeit unseres Lebens bewusst für seine Werke nutzt, hat sich in den Zeitspuren in drei Stationen auf Zeitelemente seines Materials bezogen. In Zeitspuren Jura I von 2003/2005 treten wir vor sechs mit Fotoemulsionen beschichtete Kalksteinplatten, auf denen der Künstler fotografische Informationen über verschiedene Aggregatzustände des Meeresbodens in Küstennähe während der Gezeiten festgehalten hat. Die sechs Stufen zwischen Ebbe und Flut, zwischen der Anwesenheit von Wasser und dem Trockenfallen des Geländes korrelieren dabei mit Arbeitsspuren des Auftragens der Bildemulsionen; die einzelnen Stufen, sämtlich – wie auch die weiteren Zeitspuren – aus einem Block herausgeschnitten, fügen sich denkbar zu einem harmonischen Ganzen, zu einer kompakten Gesamtform zusammen, erzählen aber in ihrem Aufgeschnittensein von den einzelnen Stufen eines kontinuierlichen Ablaufs.

So kommt Zeit in diese Arbeit, die in ihren einzelnen Schritten von ihrem eigenen Gewordensein erzählt. Hawoli schlägt, ganz unprätentiös und undidaktisch, einen schnellen Bogen zurück in die Entstehungszeit des Werkes, schließt die historische Zeit des Gewordenseins des Materials ein in die rhythmisierte Darstellung des Gemachtseins des Werkes. Daß hier der Künstler die einzelnen Scheiben hat schneiden lassen, daß auf seine Veranlassung eine solche Rhythmisierung entstanden ist, und dass er die einzelnen Stufen der Zustände des Meeres diesen Scheiben hinzugefügt hat, erschließt sich dem Betrachter wie von selbst.

Eine andere Herangehensweise ist in der Arbeit Zeitspuren Jura II gewählt; die neun Kalksteinplatten, wiederum mit Fotoemulsion beschichtet und mit Fotografien versehen, stehen in einem Stahlgestell hintereinander; wie ein Lager von einzelnen Informationen, in das wir leicht schräg Einblick nehmen können, erzählen sie die Geschichte der Annäherung an den Steinbruch im Gelände. Das Näherkommen ist in einzelnen Schritten dargestellt, die Annäherung an die schweren Maschinen, mit denen der Abbau geschieht, die Bearbeitung der Platten, ihr Schneiden. In solchen Schritten, rhythmisiert, nähern wir uns dem Material, seinem heutigen Ort; haben wir noch in Zeitspuren I den Ort in einer früheren, historischen Dimension erlebt, so trägt uns Zeitspuren II in die Jetztzeit. Ein Weg wird da beschritten von der Horizontalen in die Vertikale, die die Annäherung erlaubt an die schließliche Realisierung in Zeitspuren Jura III. Der Tisch, vor dem wir schließlich stehen, hat die höchste Präsenz; hier ist nichts mehr Erzählung. Der Tisch mit seinen zwei Platten ist deutlich sichtbar vom Künstler mit der Hand bearbeitet, die Emulsion und das fotografische Bild sind in starken malerischen Arbeitsspuren auf diese Tischplatten aufgetragen. Vor uns liegt das Abbild des Meeresbodens. Beide Platten fügen sich in der Mitte jedoch nicht völlig zusammen, lassen einen geraden Spalt offen, durch den das Bild geteilt wird sowie die Konstruktion des Tisches und der Boden gleichermaßen sichtbar sind. Hawoli beschönigt nichts, baut keine Illusionen. Er macht auch hier deutlich, wie die Bedingungen des Gebauten aussehen, läßt die Schleifstellen des Gestells ebenso erkennen wie die Arbeitsspuren auf den Tischplatten. Und gleichzeitig nimmt dieser Tisch mit seiner Einladung auf das Niederlassen an ihm einen historischen Diskurs auf, der über die beiden anderen Stationen der Zeitspuren schon begonnen hat. An diesem Tisch können wir uns niederlassen, an ihm haben wir unser Hier und Jetzt; wir bringen unsere Zeit ein in das Werk, das so neben der historischen Zeit der Entstehung des Material und jener Zeit der Entstehung des Kunstwerks in unserer Jetztzeit ankommt. In Zeitspuren III ist so die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen realisiert, der Künstler und sein Werk in all seinen Dimensionen ganz bei uns angekommen.

Ulrich Krempel